Interview mit Alice – Intervju s Alice

Aus der Zeitschrift HRVATSKI! 1/2024: Zwei Interviews – Dva intervjua

Ich liebe den Klang dieser Sprache

Volim zvuk ovog jezika

Dieses Interview befindet sich hier im Blog auf Deutsch. Vergleichen Sie die kroatische und deutsche Version dieses Interviews, indem Sie die Zeitschrift HRVATSKI 1/2024 auf der Seite 51 aufschlagen.

Alice ist städtische Angestellte, aber vom Herzen her Künstlerin. Sie liebt es, zu singen, schreiben (Lyrik und Prosa), zeichnen und tanzen. Sie singt, auch Solopartien, in einem Gospelchor, ist Mitglied im Autorenforum Köln und nimmt mit ihren Gedichten an öffentlichen Lesungen teil. Zwei ihrer Gedichte hat sie bereits in einem Buchband veröffentlicht. Sie hat zwei erwachsene Kinder (Tochter und Sohn) und lebt in Siegburg (in der Nähe von Köln und Bonn). Seit 8 Jahren lernt sie Kroatisch. Neben dem Kroatisch lernt sie auch Englisch, Walisisch, Französisch, Niederländisch und Malayisch. Sie reist gerne, liebt es zu wandern und geht gerne ins Kino oder auf Konzerte. Wie Alice sich dazu entschloss, Kroatisch zu lernen, mit welchen Problemen sie konfrontiert war und was ihr an der kroatischen Sprache besonders gefällt, lesen Sie weiter unten.

Du lernst seit vielen Jahren Kroatisch. Wie ist es dazu gekommen?

Schon als Kind konnte ich einige Worte Kroatisch und kroatische Volkslieder singen, weil meine Mama Donauschwäbin/Švabica ist. Leider hatte sie jedoch keine Geduld und Ausdauer, uns Kindern Kroatisch beizubringen, was sehr schade ist, da wir fast jedes Jahr unseren Sommerurlaub dort verbracht haben. Ein Gefühl für die Sprache habe ich dennoch durch das Zuhören bekommen und ich wusste auch oft, was meine Mutter erzählt, ohne dass ich jedes Wort verstanden habe. Auch später mit rund 20 Jahren und mit rund 30 Jahren hat es mit meiner Mutter als Lehrerin leider nicht funktioniert. Als ich ca. 40 Jahre alt war, scheiterte ich, weil meine Kinder noch klein waren und ich zu viel Stress hatte, um gut lernen zu können. Dann aber, in 2015, habe ich intensiv begonnen und nicht mehr mit dem Lernen aufgehört.

Erinnerst du dich an dein erstes kroatisches Wort?

„Mama“ (Scherz!) Nicht wirklich. Wahrscheinlich waren es die Floskeln „Dobar dan“, „Doviđenja“ und die Zahlen, und vor allem „Hajde, dođi! Brzo! 😊“ (Los! Komm schnell!). Aber ich bin gleich in die Sprache eingetaucht, vor allem durch die Musik, denn meine Mutter hörte endlos ihre „Jugo-Musik“ und mein Vater leitete einen Folklorechor, der Volkslieder aus aller Welt sang. Aufgrund der Inspiration durch seine Frau aus dem Banat sang der Chor viele Lieder aus Kroatien, Serbien, Bosnien u. Herzegowina etc., die dann auch zu Hause gesungen wurden. Schon mit 2 Jahren konnte ich „Tiho noći, moje zlato spava…“ (Still sei die Nacht, mein Goldstück/Schatz schläft…)“ trällern und habe damals den Manager der Krker Buslinie mit diesem Lied so begeistert, dass er meine Eltern spontan zu einem Ausflug mit dem Bus über die ganze Insel und zum Abendessen einlud (während ich natürlich ‚zu Hause‘ bleiben musste).

Welche Lernmethoden waren für dich am hilfreichsten (Kroatischkurse in Deutschland, Kroatischkurse in Kroatien, Reden mit Freunden, Lesen, Radio hören, Fernseher schauen, Reisen nach Kroatien)?

Ich habe alle Methoden durch 😊. In der Volkhochschule habe ich begonnen. Im Grunde würde ich das auch gerne weiterhin machen, aber es gibt dort leider kein ausreichend hohes Niveau mehr für mich, und private Stunden sind sehr teuer. Den meisten Leuten reichen vermutlich einige Worte für den Urlaub oder sie geben verzweifelt auf.

Kroatische Filme waren mir anfangs zu schwer. Ich habe mit Bilderbüchern begonnen, erst mit denen für Kleinkinder mit nur wenigen Worten, dann mit denen, die längere Texte boten. Später habe ich dann die Bücher von Ana Bilić, die es in verschiedenen Schwierigkeitsgraden und mit einem Vokalbelteil gibt, gelesen. Das Lesen hat mir viel über die Satzstellung, besonders, was die Enklitika betrifft, beigebracht. Dann habe ich mir Tandem-Sprachpartner gesucht. Sprechen, auch mit Fehlern, ist das wichtigste , um eine Sprache zu erlernen. Ich war zwei Jahre mit einem Kroaten zusammen und habe in diesen 2 Jahren wesentlich mehr gelernt als in den 4 Jahren zuvor an der VHS.

Erst als ich schon recht gut Kroatisch konnte, habe ich mich an eine Sprachreise gewagt. 2022 war ich zu Ostern auf meiner ersten Sprachreise in Zagreb. 

Dieses Jahr stolperte ich dann über das Angebot der Universität in Zagreb, die „Sveučilišna ljetna škola hrvatskoga jezika i kulture“, die 4 lange Wochen dauert. Es hat mich begeistert! Die Lehrer bzw. Professoren der Uni waren sehr nett und sehr gut, das Lernprogramm sehr anspruchsvoll. Wer noch die Stadt besichtigen möchte, sollte eine 5. Woche einplanen, denn man bekommt reichlich Hausaufgaben auf. Eine Party und zwei Ausflüge an die Plitvicer Seen und nach Zagorje waren inklusive. Es war eine sehr intensive und lehrreiche, wunderschöne Zeit und ich darf mit Stolz erzählen, dass ich mit 91 % das Level B2 (dort „razina S2“) mit dem Grad „izvrstan“ (ausgezeichnet) abgeschlossen habe. Wenn ich in ein paar Jahren mein Kroatisch hoffentlich wesentlich verbessert haben werde, möchte ich das wiederholen.

Für die Zukunft habe ich mir vorgenommen, noch mehr zu lesen und zu hören (Filme oder Podcasts). Auch passiv hören. Ich habe erfahren, dass es wahnsinnig hilfreich ist, eine Radiosendung oder einen podcast laufen zu lassen, ohne dass man zuhört. Zuhören ist dabei regelrecht unerwünscht. Das Gehirn nimmt, wie schon beim Baby im Bauch der Mutter, unbewusst Rhythmus, Klang und Wortstellungen auf und fördert das Erlernen der Sprache ungemein.

Überhaupt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man eine Sprache so lernen sollte, wie man es mit der Muttersprache gemacht hat. Ganz viel passives Hören, dann nachplappern, falsch nachplappern, ohne Angst, Fehler zu machen, dann Strukturen erkennen und richtig nachplappern. Grammatik? Gerne… nach ein paar Jahren. Okay, vielleicht auch vorher schon ein bisschen, aber ohne Stress. Durch meinen Beruf habe ich oft mit Menschen gesprochen, die nicht so gut Deutsch konnten. Und selbst in den Fällen, wo jemand nur sehr, sehr gebrochen Deutsch sprach, habe ich doch immer verstanden, was derjenige sagen wollte. Auch ich habe mich früher gesorgt, ob ich wohl die richtige kroatische Endung der Wörter wähle. Ich möchte alles am liebsten perfekt sagen. Aber die Angst darf einen nicht vom Sprechen abhalten. Dem Gesprächspartner ist es völlig egal, ob man es falsch sagt. Er versteht einen und das verbindet und bringt einen weiter. Bestenfalls wiederholt er es richtig und man lernt daraus.

Und Reisen ist wichtig. Man lernt dabei, ja. Aber vor allem erhält man eine Bestätigung, wenn man merkt, dass man den Alltag mit Kroatisch meistert, und das beflügelt und motiviert.

Wie viel Zeit täglich / wöchentlich / monatlich widmest du dem Kroatisch lernen?

Ich lerne jeden Tag (mit wenigen Ausnahmen) für mindestens 15 Minuten bis zu einer Stunde. Das lässt sich wunderbar mit Apps machen. Du wartest auf einen Bus? Wunderbar… 3 Minuten-Einheit erledigt. Generell lerne ich Sprachen auf dem Weg zur Arbeit und zurück.

Viele Kroatisch-Lernende sagen, dass Kroatisch eine schwere Sprache ist. Was ist deiner Meinung nach wichtig beim Kroatisch lernen?

Kroatisch ist schon schwierig, weil es eine komplexe Grammatik hat. Für manchen mag auch die Aussprache schwierig sein. Ich denke es ist wichtig, die Angst vor Fehlern abzulegen, ganz viel nachzusprechen – laut (wenn ich im Zug lerne, flüstere ich es zumindest), denn es gibt das motorische Gedächtnis, das auch deiner Zunge hilft, die Wörter oder eine Wortfolge richtig und irgendwann automatisch auszusprechen. Grammatik anschauen ist gut, aber dann in Übungen im Sprechen ganzer Sätze üben ist besser. Überhaupt… sprechen, sprechen, sprechen. Sucht Euch Kroaten, die mit Euch sprechen wollen. Und bitte nicht das Schwierige fokussieren! Es gibt so viele Dinge, die es auch einfach machen… Germanismen zum Beispiel oder kroatische Ausdrucksweisen, die den deutschen gleichen.  Man sollte Grammatik vielleicht als Hilfsmittel verstehen und nicht als Lernziel.

Hast du einen persönlichen Tipp? 

Ich glaube, ich habe in den anderen Fragen schon alles gesagt, aber zusammengefasst:

  • Podcasts laufen lassen
  • besser täglich ein wenig lernen als einmal wöchentlich 2 h
  • laut üben 
  • Sprachpartner suchen – sprechen, sprechen, sprechen
  • lesen zum Erlernen der Satzstruktur
  • kroatische Lieder hören und Text lernen

Einen besonderen Tipp habe ich doch noch. Für mich hat es sehr gut funktioniert, dass ich Vokabeln, die ich mir nicht so leicht merken konnte, kreativ mit Bildern oder ähnlich klingenden Wörtern verbunden habe. Je emotionaler oder abstruser diese Bilder sind, umso leichter merkt man sie sich. Diesen Trick habe ich dem sehr interessanten Buch “Wie man jede Sprache in nur 7 Wochen lernt“ von Udo Gollub entnommen.

Beispiel 1: Das Wort gaće kannte ich schon lange, nämlich aus dem Volkslied „Ćiribiribela“ (To nisu jidra moje brodice, to su vam gaćice moje Marice). Nun konnte mir einfach nicht merken, wie die Ente auf Kroatisch quakt (patka gače). Die Ähnlichkeit der Wörter ist offensichtlich. Ich stellte mir also eine Ente in Unterhose vor. Nicht eine Sekunde musste ich danach noch überlegen, wenn dieser Begriff in meiner Lern-App abgefragt wurde. 

Beispiel 2: Es funktioniert sogar, wenn man um die Ecke denkt: sparno = schwül, klingt ähnlich wie schwul, ich denke an ein schwules Paar => schwuleSPAARNO.

Beispiel 3: nagib = Hang …ein Hang ist da, wo die Erde nachgibt…NAchGIBt. Es lohnt sich, es auszuprobieren. Verrückt, aber es funktioniert.

Was hat dich beim Kroatisch lernen am meisten überrascht?

Es hat mich überrascht, dass viele Redewendungen und Ausdrücke wie im Deutschen verwendet werden und dass es so viele Germanismen gibt. Erst in der Ljetna škola habe ich gelernt, das Deutsch in früheren Zeiten einmal in Kroatien auch Amtssprache war. Da wunderte es mich dann weniger. Am meisten war ich überrascht, dass es irgendwann, entgegen der einstigen Überzeugung, tatsächlich gelingt, dem Wort die korrekte Endung zu geben, ohne die Aussprache so zu dehhhhhnen, dass man mehr Bedenkzeit erhält. 😁

Was gefällt dir beim Kroatisch besonders gut? Und was gefällt dir überhaupt nicht?

Ich liebe es, dass das Kroatisch den Genitiv noch ehrt. 😁

Aber im Ernst: ich liebe einfach den Klang dieser Sprache. Der Klang entspricht der Mentalität. Das Unaufgeregte, Gelassene darin. Während der Deutsche für alles einen genauen Begriff hat (was durchaus seine gute Seite hat) umschreibt der Kroate eher bzw. erläutert den Begriff näher. Regt er sich aber auf, dann umschreibt er weniger, dann wird Klartext geredet. 😁

Ich glaube, es gibt gar nichts an der Sprache, was mir überhaupt nicht gefällt. Es gibt wohl eine Sache, die mir kaum erlernbar erscheint: die Bezeichnungen für die Großfamilie. Den Onkel oder die Tante zu benennen, je nachdem, ob sie von der mütterlichen oder der väterlichen Seite stammen, das kriege ich noch hin. Aber das Ganze führt ja noch viel weiter. Beruhigend fand ich es dann aber festzustellen, dass selbst Kroaten sich nicht alle Begriffe merken und sie richtig verwenden können. Und im Zweifel ist alles „rođak“. 😊

Worin besteht für dich die größte Herausforderung beim Kroatisch lernen? 

An schwierigsten finde ich den korrekten Satzbau und die Ausdrucksweise. Beispiel zu letzterem: Ich saß mit Branka am Fluss und wollte sagen, dass ja die Sonne bereits untergeht. Und ich fragte sie, ob ich das so sagen kann, und ich benutzte ein Wort, das die exakte Übersetzung von „untergehen“ war. Aber Branka sagte „nema sunca“ und ich musste so lachen. „Warum auch einfach, Alice, wenn es komplizierter geht?!“, sagte ich zu mir selbst. Die größte Herausforderung ist also, etwas so auszudrücken, wie es ein Muttersprachler sagen würde. Aber das gilt wohl für jede Sprache.

Wenn du etwas aus der kroatischen Sprache entfernen könntest, was wäre das?

Es gab eine Zeit, da hätte ich mir wahrscheinlich gewünscht, dass die Deklination der Adjektive der Deklination der Nomen entspricht 🤣. Aber nein, heute würde ich nichts ändern.

Hast du ein kroatisches Lieblingswort (oder einen kroatischen Lieblingssatz)? 

Ich liebe die Ausdrücke, die meines Erachtens die kroatische Mentalität spiegeln:

  • Nema problema!
  • Može!
  • Žuri polako!
  • Ma!

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Ich möchte unbedingt mein Hörverstehen verbessern und noch fließender mit der richtigen Ausdrucksweise sprechen.

Und am Ende, kannst du uns sagen, was dein größter Wunsch im Zusammenhang mit dem Erlernen der kroatischen Sprache ist?

Ich möchte einen Großteil meiner Zeit, wenn ich in Rente bin, in Kroatien verbringen. Daher würde ich mich auch freuen, persönliche Kontakte in Kroatien zu knüpfen, eine gute Freundin zu finden. Oder einen kroatischen Partner. 🤣

Was möchtest du allen sagen (ausrichten), die Kroatisch lernen möchten oder bereits lernen?

Nicht aufgeben! Es kommt die Zeit, da überwindet man plötzlich die größte Schwelle, von wo an alles leichter geht. Man beginnt, die Sprache zu verstehen und kann sich Wörter plötzlich zusammenreimen, obwohl man die Vokabel noch gar nicht kennt. Ich habe zum Beispiel damals nur das Wort „brzo“ gekannt, als ich aus dem, was ich schon kannte, mir selbst zusammenreimte, dass „Geschwindigkeit“ dann wohl „brzina“ heißen müsse. Ich war so stolz, als das dann stimmte. Und… auch mit nur wenig Sprachkenntnis werden Euch die Herzen der Kroaten zufliegen, wenn sie sehen, dass du dir Mühe gibst, Ihre Sprache zu sprechen. Das erlebe ich immer und immer wieder.

Fotos: Alice

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